Presse


Das Förnbacher Theater inszeniert in Basel "Acht Frauen" zu Chansons von Georg Kreisler.

 

Alles auf der Bühne sieht nach friedlichem Fest im trauten Familienkreis aus: Ein eleganter Salon, geschmückter Tannenbaum, gemütliche Sofas. Doch nach wenigen Minuten kippt die Stimmung in dem Stück "Acht Frauen" von Robert Thomas, das im Förnbacher Theater im Badischen Bahnhof Basel Premiere hatte. Mutter, Töchter, Enkelinnen, Tante und Schwägerin, die zum Weihnachtsfest auf dem abgelegenen Landsitz eintrudeln, haben alle ihre Geheimnisse. Und verfangen sich in einem Netz von Heimlichtuereien, Lügen, Affären, Betrügereien und Finanzproblemen.

Das Zusammentreffen dieser Frauen aus drei Generationen birgt jede Menge Konfliktstoff. In der Inszenierung von Helmut Förnbacher vermischen sich Komödie, Familiendrama, Intrigenspiel und Kriminalstück auf raffinierte und spannende Art. Da spielt sogar ein bisschen detektivische Mördersuche à la Agatha Christie hinein. Denn kaum sind die Damen eingetroffen, wird eine Leiche entdeckt. Der einzige Mann im Stück, der immer unsichtbar bleibt, wird mit einem Messer im Rücken aufgefunden. Ein gellender Schrei, Pistolenschüsse, Rattengift im Kaffee. Und schon macht sich eine Atmosphäre der Angst, der lauernden Gefahr, der gegenseitigen Verdächtigungen, des Spionierens breit. Die Handys sind verschwunden, der Motor des Autos springt nicht an, die Frauen sind von der Außenwelt abgeschnitten. Wer von ihnen ist eine Mörderin, wer profitiert vom Testament des Toten? Förnbacher schürt in seiner Regie geschickt die Spannung und bietet alles auf, was die psychologischen Abgründe, Eifersüchteleien, Rivalitäten, Gefühle und zugespitzten Boshaftigkeiten in diesem "Damenstift" zu einem amüsanten Theatererlebnis macht. Vor allem sind diese verschiedenartigen Frauentypen dankbare Rollen für die großartigen Schauspielerinnen des Ensembles, die ihre Charaktere genüsslich ausleben.

 

Da wäre Caroline Felber als weißhaarige Patriarchin und Grande Dame im Rollstuhl, die misstrauisch ihre Aktien unterm Kopfkissen versteckt und alles andere als großmütterlich-bieder ist. Elegant, kühl und beherrscht, ganz Dame der besseren Gesellschaft, gibt Kristina Nel die Hausherrin Gaby, deren Mann das Mordopfer ist. Ihre Töchter, Mia Lüscher als trotziges, aufmüpfiges Nesthäkchen und Sandra Schaub als flippige Studentin Susanne, bringen jugendliche Verve, Frische und Pep ins Spiel. Mit pointiertem Witz und Ironie verkörpert Kathrine Ramseier die frustrierte, ewig jammernde Tante Augustine, die nur mit Pillen ihr einsames Singledasein erträgt. Undurchschaubar und rätselhaft wie eine glamouröse Sphinx wirkt Dora Balog als Pierrette, die skandalumwitterte Schwester des Ermordeten, die amouröse Heimlichkeiten ihrer lieben Verwandten aufdeckt. Auch die Hausdamen haben ihre verschwiegenen Laster, etwa Nina Bradlin als aufreizende, mokante Louise oder Natalie Kriesemer als heimliche Pokerspielerin Chanel.

In den mondänen Haute Couture-Kostümen von Raphael Blechschmidt würden die Damen auf jedem Pariser Laufsteg Furore machen. Als besonderen Clou hat die Theater Company die rabenschwarzen Chansons zu bieten, die der Meister des makabren Humors, Georg Kreisler, den acht Frauentypen auf den Leib komponiert hat. Auch als Diseusen machen die Darstellerinnen in diesen galligen, bitter-ironischen Songs eine glänzende Figur, wenn sie im Cabaret- und Revue-Stil frech und demaskierend von Männern, Ehe und Sex singen. So viel geballte weibliche Power auf der Bühne macht großes Vergnügen bis zum knalligen, sehr überraschenden Schluss.

Badische Zeitung Roswitha Frey 





JUNGFERN BEICHTEN IHR LEBEN 

   Theaterensemble Puck spielt Balls "Fünf im gleichen Kleid" in der Freiburger Experimentalbühne.  

 

 

  1. Eine Uniform, aber fünf sehr unterschiedliche Frauen  Foto: Nistor

Wer jemals in eine amerikanische Hochzeit involviert war, kann sich lebhaft vorstellen, wie die Brautjungfern in Alan Balls schwarzhumoriger Komödie "Fünf im gleichen Kleid" leiden: Wie "Stehlampen" fühlen sie sich in ihren figurbetonten bodenlangen silbernen Abendkleidern, passenden Handschuhen und Highheels – und dem Feder-Fascinator auf dem Haupt. Im Laufe des Abends auf der Experimentalbühne im E-Werk dürfen die Schauspielerinnen des Theaterensembles Puck die Garderobe zwar wechseln – aber auch das deutlich kleidsamere grüne Taftkleid ist eine Uniform. Dabei verhandeln die jungen Frauen im rund 90 Minuten dauernden Stück des preisgekrönten Drehbuchautors ("American Beauty") doch vor allem ihre Verschiedenheit …

Frances (Jelisaveta Todorovski) macht den mal selbstbewusst, mal empört, mal kleinlaut vorgetragenen Satz: "Ich bin Christin!" zu ihrem Lebensmotto. Meredith (Jeanne Zaugg), Schwester der Braut, revoltiert gegen die Spießigkeit ihrer Familie. Trisha (Mia Lüscher) ist in jungen Jahren schon so vom Leben desillusioniert, dass sie allenfalls noch Ratschläge für die anderen parat hat. Georgeanne (Lena Müller) hat einfach mal jemanden geheiratet, nachdem sie von ihrem Exfreund bitter enttäuscht wurde – und Mindy (Cäcilia Bosch) ist lesbisch, wird aber für ihren Lebensentwurf von ihrer Familie mit Liebesentzug bestraft.

Die dialogstarke Komödie, mit kluger, leichter Hand realisiert von Nuscha Nistor (Regie, Bühne, Licht) und Mathias Willaredt-Nistor (Sound), findet im Schlafzimmer von Meredith statt. Im Zentrum steht ein großes Bett, außen herum Sessel und Stühle, ein Tisch, eine Kommode, Spiegel und ein Fitnessgerät. In wechselnder Besetzung wird das Zimmer bespielt – während "draußen" mit großem Bohai der Empfang für das Brautpaar stattfindet, geht es "drinnen" um Liebe und Sex, Drogen und Religion, Schönheitsdiktat und Emanzipation. Der Unterhaltungswert ist hoch, einen Spannungsbogen gibt es, weil die Figuren allesamt eine Entwicklung machen: Das oberflächliche Geplauder der Brautjungfern weicht ernsthaften Lebensbeichten junger Frauen; Abgründe tun sich auf, die – es ist ein amerikanisches Stück – nicht jeder im Publikum auf sich wird übertragen können, die aber dennoch identitätsstiftend sind.
Die schauspielerische Leistung des Ensembles ist beachtlich: Bei der Premiere stimmten Timing, Tempo und Textsicherheit. Manche Geste, mancher Satz ist noch etwas überspielt – aber das fällt nicht weiter ins Gewicht. Hervorzuheben ist dennoch eine Szene – ausgerechnet die, in der der einzige Mann des Stücks auftritt: Tripps Werben um Trisha wird von Ruben Degendorfer und Mia Lüscher absolut überzeugend gegeben. Insgesamt eine feine Ensemblevorstellung, die bestens unterhält und lang anhaltenden Applaus erhält.

 

Do, 09. März 2017

von: Heidi Ossenberg

 

 


PROSPERAS LUFTGEISERARMADA

MARKUS SCHLÜTER INSZENIERT SHAKESPEARES "STURM" MIT SCHAUSPIELSCHÜLERN IN FREIBURG

 

  1. Lena Müller als Prospera im Kreis der Luftgeister  Foto: Markus Schlüter

 

 

Sturm über Baden-Württemberg war angesagt in der Nacht zu Freitag. Auf der Experimentalbühne der Freiburger Schauspielschule im E-Werk tobte er schon am Donnerstagabend. Und wie! Auf der langgezogenen, tiefschwarzen und bis auf drei Hocker leeren Bühne geht liebliches Vögelgezwitscher über in raue, schrille Laute nicht identifizierbarer Tiere. Menschen schreien, Wellen klatschen, Winde heulen, Holz zerbirst – nur gelegentliche Blitze erhellen das Chaos. Welch furioser Einstieg in Markus Schlüters Inszenierung von Shakespeares Romanze "Der Sturm" (vermutlich 1611 fertiggestellt) mit Hannah Schweglers Musik.

Und furios ist ein angemessenes Wort, um den ganzen 90 Minuten dauernden Abend zu beschreiben. Schlüter hat die Übersetzung von Franz von Dingelstedt (1814–1881) seiner Inszenierung zugrunde gelegt, den Text gekürzt und einige der männlichen Hauptrollen weiblichen Schauspielern gegeben: So ist aus dem Zauberer Prospero die Magierin und ehemalige Herrscherin von Myland Prospera geworden, aus Alonso, dem König von Neapel, die Königin von NewApple, Alonsa. Überdies hat sich Ariel in eine ganze Luftgeisterarmada vervielfacht – ein überaus charmanter Einfall, denn die in ihren kurzen weißen Tüllkleidchen wuselnden Ariels bringen viel Dynamik und Bewegung auf die Bühne, und es bekommen zehn Schauspielschülerinnen eine Gelegenheit zum Auftritt.


Im Grundsatz ist "Der Sturm" eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der Ordnung der Welt. Prospera ist mit ihrer Tochter Miranda einst nach einem Putsch ihres Bruders Antoino auf die Insel verbannt worden. Hier hat sie den Herrscher Caliban entmachtet und versklavt und sich den Luftgeist Ariel zum Diener einverleibt, indem sie ihn aus den Klauen der Hexe Sycorax befreite. Mit Hilfe des von ihr herbeigerufenen Sturms nun holt sie die, die ihr Myland streitig machten, in ihren Herrschaftsbereich zurück: Alonsa, Ferdinand, Gonzalo, Antonio, Sebastian, Stephano und Trinculo.

Macht regelt die Ordnung der Welt – und wer am brutalsten und skrupellosesten handelt, hat die meisten Chancen – so sieht es lange Zeit aus. Männer wie Ferdinand, der sich von einer Sekunde in die andere in Miranda verliebt, oder Gonzalo, der von einer Welt träumt, in der jeder den anderen nach seiner Fasson glücklich werden lässt, sind Utopisten. Aber die Utopisten haben bei Shakespeare immer auch ihre Daseinsberechtigung – und so wirbeln die Geister und Zauberer das Leben auf der Sturminsel doch mehrmals kräftig durcheinander.

Schlüters Inszenierung ist klug und durchdacht und es ist deutlich spürbar, mit welcher Sorgfalt er mit den jungen Schauspielerinnen und Schauspielern gearbeitet hat. Textsicher und präsent sind alle zwanzig – und es widerstrebt fast, einzelne herauszuheben, haben doch alle zu einer runden und umjubelten Premiere beigetragen. Dennoch seien Lena Müller als souverän-kühle Prospera und die überaus wendige Mia Lüscher als Caliban eigens erwähnt.

Sa, 14. Januar 2017

Badischen Zeitung.

von: Heidi Ossenberg


SPIEL MIT DEN VERSCHIEDENEN CHARAKTEREN

Das Spiel mit den verschiedenen Charakteren

| Mi, 28. Dez. 2016 

Mia Lüscher liebt die Bühne. Und das seit frühster Kindheit. Im Sommer 2017 schliesst die 23-Jährige aus Gipf-Oberfrick ihre vierjährige Schauspielausbildung ab.

von Susanne Hörth

 

«Wer ist Mia Lüscher?» Die Gipf-Oberfricker wiederholt die Frage der Journalistin und muss schmunzeln. Ein bisschen scheint sie diese Frage erwartet zu haben. Spontan und klar kommt ihre Antwort: «Mia Lüscher ist ein junger Mensch, der gerade noch extrem in der Entwicklung steht. Sie befindet sich im letzten Jahr in ihrer Schauspielausbildung. Was ganz besonders auch tägliche Entwicklung heisst. Und das wiederum bedeutet: nie Langweile, sehr viel Aktivität. Ich mache nur Sachen, die für mich stimmen.» Ein Luxus? Die 23-Jährige zögert, schüttelt dann den Kopf. Nein, sagt sie. Vielmehr glaube sie, dass jeder Mensch in der Schweiz für sich bestimmen kann, was er machen will und was nicht. Und damit aber auch die Konsequenzen seiner Selbstbestimmungen tragen muss.

  Vier Jahre dauert die Schauspielausbildung. In der Schweiz, sagt Mia Lüscher, gebe es nur zwei staatliche Schauspiel-Schulen. Eine in Zürich, eine in Bern. «Ich habe bei beiden vorgesprochen. Aber auch an der Schauspielschule im deutschen Freiburg.» An letzterer wurde sie genommen und es passte. Dieses «es passt» spielt in Mia Lüschers Leben eine wichtige Rolle. Sie lässt bei ihren Entscheidungen auch den Zufall oder das Schicksal mitbestimmen. «es passt» hat sie halt eben für ihre Ausbildung nach Deutschland geführt.

In Freiburg wohnt die angehende Schauspielerin gerade einmal drei Velo-Minuten von der Schule entfernt. Sie schätzt diesen kurzen Weg. Denn nicht selten wird es später Abend, bis der letzte Vorhang gefallen und die Türe zum Theater geschlossen werden kann. Es ist Teil der Ausbildung, dass die angehenden Schauspieler sich in klassischen und modernen Stücken dem Publikum präsentieren. Das aber erst in einem späteren Teil der Ausbildung. «Zuerst gehen wir auf die Bühne ohne das ganze Drumherum und lernen, uns selber zu spüren.» Eine wichtige Voraussetzung, um aus dem Ich herausschlüpfen und ein Theaterstück lang eine andere Person verkörpern zu können.

Begeistert erzählt die junge Frau von ihrer Ausbildung. Vom «Handwerk», das es in seiner ganzen facettenreichen Palette zu erlernen gibt, von den verschiedenen Rollen, die sie besetzen durfte und von der Bühne, die sie über alles liebt. Auf der Bühne, so Mia Lüscher, sei auch der Teamgedanke ganz wichtig. «Wir müssen uns gegenseitig vertrauen und uns aufeinander verlassen können. Wenn einer einen Hänger hat, wird das von den anderen aufgefangen.»

Mia Lüscher liebt das Theater, die direkte Nähe zum Publikum. «Es beginnt schon vor dem Auftritt. Die Leute sind da und warten. Du selbst bist voller Spannung wie am Start kurz vor einem Sportwettkampf.» Der Vergleich kommt nicht von ungefähr. Die Gipf-Oberfrickerin hatte früher intensiv Leichtathletik betrieben und Hip-Hop getanzt. Ebenso intensiv und erfolgreich Geige gespielt. «Ich liebe, wie schon gesagt, die Bühne», lacht das Multitalent fröhlich.

 

Das Talent in die Wiege gelegt 

Die Schauspielerei begleitet Mia Lüscher schon von frühster Kindheit an. Ihr Vater ist der bekannte Schauspieler, Autor und Geschichtenerzähler Kaspar Lüscher. «Er und auch meine Mutter gehören zu meinen wichtigsten Kritikern und Motivationsgebern.» Als Mia Lüscher vor einiger Zeit selbst zwei Stücke geschrieben und sie auf die Bühne gebracht hat, war es insbesondere der Vater, der ihr mit Rat und Tat zur Seite stand. «Er zeigte mir auch, wie ich eine im Drehbuch beschriebene und in meinem Kopf nur für mich sichtbare Szenenbeschreibung, so auf die Bühne bringen kann, dass es das Publikum auch richtig versteht.» Wenn sie es auch als spannend erlebt, Regie zu führen, so ist dies nicht Bestandteil ihrer Schauspielausbildung. Ob sie sich später der Regie zuwenden wird, lässt sie offen. Vielleicht passt es irgendwann.

Für die Zukunft – nach ihrem Ausbildungsabschluss im Sommer 2017 – wünscht sich Mia Lüscher ein Engagement an einem Theater. Es sollte nicht zu gross sein. Denn wie sie schon zu Beginn festgehalten hat, sie möchte selber mitbestimmen, was sie macht. Was heisst, was sie auf der Bühne spielt.

 

«Der Sturm» 

An der Freiburger Schauspielschule studiert sie zurzeit gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen «Der Sturm» von William Shakespeare ein. Premiere ist am 12. Januar. Dass sie sich darauf freut, ist der Fricktalerin gut anzumerken. Denn – wie könnte es anderes sein -- «es passt» einfach.


WENN DIE WERTIGKEIT DES LEBENS ABHANDENKOMMT

ENSEMBLE PUCK ZEIGT "ALICES REISE IN DIE SCHWEIZ"

 

Mia Lüscher als Alice und Max Färber als Arzt Foto: promo

Als im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Konstanten bilden Leben und Tod zwangsläufig jenen Horizont, vor dem sich der Mensch zu beweisen, zu bewähren hat. Das schlichte So-sein wird ignoriert: Leben hat seinen Wert, und dieses Wertes hat man sich würdig zu erweisen. Wenn diese Wertigkeit jedoch abhandenkommt – oder wenn es um die (Lebens-)Würdigkeit schlecht bestellt ist –, taucht die Frage auf: Welchen Sinn hat es zu leben, wenn das Dasein oder man selbst nichts mehr zu bieten hat? Lukas Bärfuss’ Stück "Alices Reise in die Schweiz" greift diese Frage im Rahmen der Debatte um die aktive Sterbehilfe auf. Das Theaterensemble Puck bringt es unter der Regie von Nuscha Nestor derzeit auf die Experimentalbühne im E-Werk.

Die Entscheidung ist gefallen: Die kranke Alice Gallo will nicht mehr leben. Ein Arzt in der Schweiz soll ihr beim Sterben helfen. Und tut dies auch. Diese drei Sätze reichen, um die Handlung von Bärfuss’ Stück zusammenzufassen. Der Tod, auch der selbst herbeigeführte, erscheint durch diese Reduktion jeglicher Mystifizierung entkleidet. Darf man sich das Leben nehmen? Darf man sich dabei gar assistieren lassen? Und ist es nachvollziehbar, von einem "Doktor Tod" auszugehen, der im Zeichen der Humanität agiert? Lukas Bärfuss stellt diese Fragen ohne Pathetik, ohne Moralisierung, in schnörkellos-klarer Sprache.

Das Ensemble Puck setzt die brisante Thematik ebenso wie den charakteristischen Duktus des Stücks treffend und fesselnd in Szene. Schlicht und eindringlich präsentieren sich bereits Bühnenbild (Nuscha Nistor) und Sound (Mathias Willaredt-Nistor). Klar, prägnant, ohne Zaudern und Wanken spielt auch Max Färber den Sterbearzt Gustav Strom, der sich von der gesellschaftlichen Ächtung in seiner "Mission" noch bestätigt sieht. Mia Lüscher gibt (in der Premierenbesetzung) die Alice durchweg überzeugend und bringt all diejenigen Facetten zum Aufleuchten, die zu einer Entscheidung gegen das Leben und für den Tod gehören können – von der Verzweiflung bis zur standfesten Beharrung.

Die weiteren Protagonisten tragen sich mit ihren Problemen als Mitbetroffene oder Mittäter: Alices teils ignorant-selbstverliebte, teils rat- und tatenlose Mutter Lotte (bei der Premiere überzeugend: Jelisaveta Todorovski) muss auf ihre Weise mit den Tatsachen umgehen. Und ebenso muss dies die erst vom Tod faszinierte, am Ende desillusionierte Sterbeassistentin Eva, die in der Erstaufführung von Cäcilia Bosch glaubhaft ebenso berechnend wie tränenreich verkörpert wird. Nebenfiguren wie der profitgierige Vermieter Walter (Hannes-Severin Rockus) und der tragikomische Patient John (Ruben Degendorfer) vervollständigen die kleine Welt, in der die großen menschlichen Fragen pointiert gestellt – und letztlich nicht beantwortet werden.

 

Di, 12. April 2016

Badischen Zeitung.

Bettina Gröber

 


LEIDENSCHAFT SO AKTUELL WIE ZU SHAKESPEARES ZEITEN

MARKUS SCHLÜTER INSZENIERT "ROMEO UND JULIA" MIT STUDIERENDEN DER FREIBURGER SCHAUSPIELSCHULE AUF DER EXPERIMENTALBÜHNE

 

  1. Romeo (Ilja Baumeier) und Julia (Mia Lüscher) Foto: Promo

  2.  

"Zwei Häuser, beide an Ansehen gleich / Entfachen neuen Streit aus altem Hass / Im lieblichen Verona, dem Schauplatz unseres Stückes": Der Anfang des berühmten Theaterstücks "Romeo und Julia" von William Shakespeare in der deutschen Übersetzung von August Wilhelm Schlegel könnte auf altmodischen Romantizismus hinweisen. Davon ist in der Interpretation, die der Regisseur Markus Schlüter mit Studierenden der Freiburger Schauspielschule auf die Experimentalbühne im E-Werk bringt, jedoch nichts zu merken. Schlüter, selbst Schauspieler beim Theater der Immoralisten, präsentiert eine durchdachte und einfallsreiche Setzung. Die hervorragende schauspielerische Leistung des Ensembles sorgt für Spannung bis zur letzen Szene.

Als das Publikum den kleinen abgestuften Zuschauerraum der Experimentalbühne im E-Werk betritt, stehen bereits alle Schauspieler auf der Bühne – regungslos in zwei Reihen, streng getrennt in die zwei rivalisierenden Familien, die Capulets und die Montagues. Die Charakterisierung der Sippen ist speziell, aber stimmig: Die Capulets sind Rockerinnen in Lack und Leder, die Montagues eine Checkerbande, sportlich lässig. Romeo (Ilja Baumeier) und seine Freunde Mercutio (Tim Huber) und Benvolio (Ruben Degendorfer) tauchen uneingeladen auf dem Maskenball des Grafen Capulet (Lena Müller) auf, wo sich Romeo und Julia (Mia Lüscher) sofort ineinander verlieben. Das verbessert jedoch nicht die angespannte Stimmung zwischen den Clans, und als in der Folge zunächst Tybalt (Jeanne Zaugg) Mercutio und Romeo dann Tybalt umbringt, werden die Liebenden getrennt. Durch ein Missverständnis misslingt auch der Gifttrick, und erst im gemeinsamen Tod sind Romeo und Julia endlich vereint.

Der Ernst des Konflikts wird auch im modernen Gewand deutlich, da die Schauspieler emotional und mit viel Ausdruck agieren. Höhepunkte sind die Szenen in Zeitlupe. Kämpfe, Morde und auch der Maskenball bekommen so eine besonders ästhetische Emphase. Gleichzeitig werden einzelne Ereignisse geschickt aus der Slow Motion herausgehoben, etwa das erste Aufeinandertreffen von Romeo und Julia. Das Ensemble ist meist als Kollektiv präsent, verstärkt Monologe im Flüsterton, unterstreichet Streitszenen durch gleichmäßiges Stampfen, klagt gemeinsam in einer großen Kakophonie um Julia.
Schlegels Übersetzung wird nicht konsequent durchgehalten, sondern immer wieder auf humorvolle Weise unterbrochen, etwa wenn in der Liebesszene aus dem Dunkeln Romeos Stimme erklingt: "Nachtigall?". Und Julia antwortet trocken: "Lerche!". Das temporale Crossing-over kommt auch zur Geltung, wenn Graf Paris (Max Färber) auf die Frage des Grafen Capulet "Wie dünkt Euch Donnerstag?" sein Smartphone zückt.
Mit den resümierenden Worten "Nur düstern Frieden bringt uns dieser Morgen" des Prinzen von Verona (Cäcilia Bosch) bewegen sich die verfeindeten und gleichermaßen über die Verluste trauernden Lager aufeinander zu. Markus Schlüter gelingt es, das Stück einzigartig zu gestalten, ohne es zu verunstalten. Die von Mia Lüscher großartig gespielte Verzweiflung der Julia ist bewegend. Leidenschaft und Trauer sind ebenso aktuell, wie sie es zu Shakespeares Zeiten waren.

Sa, 09. Januar 2016

Badischen Zeitung.

Dorothea Rusch

 

 


ES BRAUCHT LISTIGE FRAUEN

ENSEMBLE PUCK SPIELT MOLIÈRES "DER EINGEBILDETE KRANKE"

 

    

Szene aus dem „eingebildeten Kranken“ Foto: promo

Wie bei einem nostalgischen Papiertheater öffnet sich die in sepiafarbenes Schummerlicht getauchte Bühne im Freiburger Kiew-Theater mit beeindruckender Tiefenwirkung: Vorne sitzt ein beleibter Lockenkopf mit Rüschenhemd am barocken Tischchen, dahinter räkeln sich seine Töchter mit Spitzenhauben in den Betten, am Ende thront ein Toilettenstuhl, zu dem jener Argan (Hannes Severin-Rockus) immer dann mit zusammengekniffenen Pobacken schleicht, wenn das Klistier durch die Gedärme rauscht.
Kostüm und Requisite wirken also ganz klassisch bei dieser Inszenierung von Molières berühmtester und letzter Komödie "Der eingebildete Kranke". Die Gründer des Freiburger Ensemble Puck, Nuscha Nistor und Mathias Willaredt-Nistor, potenzieren dessen Satirefaktor noch, indem sie eine Mixtur aus Cembalo- und Stummfilmmusik den Auftritt von Argans frischverliebter Tochter Angélique (Cäcilia Bosch) begleiten lassen, die wie im Rausch über die Bühne taumelt. Blöd nur, dass der Vater sie aus Eigennutz schon an einen Arzt verschachert hat und selber so ein jammerlappiger Spielball zwischen geldgieriger Gattin und Quacksalbern ist. Da braucht es für ein Happyend listige Frauen wie Dienstmädchen Toinette (Jelisaveta Todorovski) und die esoterisch angehauchte Béralda (Lena Müller).Dynamisch, mit pfiffigen Regieideen und bissiger Ärzteschmäh schnurrt die Komödie um den hypochondrischen Argan dahin. Die jungen Schauspieler agieren lebendig zwischen großem Gefühl und gestelzter Groteske, die Pointen sitzen. Köstlich nicht nur die Zwillingskobolde Louison und Louisette (Mia Lüscher und Jeanne Zaugg). Dabei sind die musikalischen und choreografischen Elemente ein Markenzeichen der beiden Theatermacher Nistor und Willaredt-Nistor: Jede Szene hat hier ihren spezifischen, am Keyboard live gespielten Sound, jede Figur eine expressive und choreographierte Körpersprache. Interessant auch, dass Molières in Deutschland fast unbekannte "Comédie-Ballet"-Zwischenspiele mit ägyptischen Gauklern und gruseligem Ärzte-Finale auf die Bühne kommen. Klassikerfans sind hier gut aufgehoben, für alle anderen ist dieser Molière zu klassisch.

Do, 23. April 2015

Badischen Zeitung.

Marion Klötzer


KRITIK IN KÜRZE

"UND WENN ICH GEHE" IM FREIBURGER E-WEKR

 


Sich mit dem eigenen Tod zu beschäftigen, liegt nicht unbedingt nahe, wenn man 21 Jahre jung ist. Mia Lüscher hat es getan – und zwar auf künstlerische Art und Weise. Die Freiburger Schauspielschülerin hat den Einakter "Und wenn ich gehe" geschrieben, inszeniert und sich selbst die Hauptrolle gegeben. Jetzt hatte der ambitionierte Erstling Premiere auf der Kammerbühne des E-Werks.

Marie (Lüscher) ist tot. Sie liegt, von einem Leichentuch bedeckt, auf der Bahre in einem Keller. Ihr Unterbewusstsein (Lena Müller) hilft ihr auf die Sprünge: "Du bist tot, aber Du hast Deinen inneren Frieden noch nicht gefunden." Darum geht es: Einzusehen, dass sie ihren Freund Louis (Max Färber), ihre Eltern, ihre Schwester – und auch ihren Lehrer, der sie missbraucht und getötet hat – nicht mehr wird sehen können, das fällt Marie sehr schwer. Sie wehrt sich, sie kämpft gegen ihr Schicksal, denn schließlich denkt, redet und fühlt sie ja noch.

Lüscher hat ihr Thema gut durchdacht und mit einfachen Mitteln konsequent auf die Bühne gebracht. Die Stärke des Stücks ist seine authentische, jugendliche Sprache, die dem ernsten Thema auch eine übergroße Schwere abnimmt. Schauspielerisch überzeugen alle drei jungen Darsteller weitgehend, vor allem den beiden Frauen gelingt es durch die richtige Mischung von Bewegung und Sprache, das Publikum zu unterhalten. Nach 70 Minuten erhalten Mia Lüscher und ihr Team warmen Beifall.

 

Mi, 11. Februar 2015

Badischen Zeitung.

Heidi Ossenberg